"Der Vorleser": Ralph Fiennes über Rollen und RitualeInterview von Nina Bogert Berlin ist für ihn längst kein Neuland mehr. Hier hat er Preise kassiert, Filme präsentiert - und gedreht. Auf der 59. Berlinale feiert Ralph Fiennes' aktueller Film "Der Vorleser" (Rezension hier) Premiere. Darin spielt der 46-Jährige an der Seite von Hollywoodstar Kate Winslet und dem deutschen Nachwuchstalent David Kross. zoomer.de traf den Briten zum Gespräch.
Wie ist es für Sie, wieder in Berlin zu sein?Toll. Es ist wunderbar wieder hier zu sein. Nach London. Berlin fühlt sich weniger verrückt an als London. Dort gibt es so viel Verkehr. Schmutz. Überall Baustellen. Man kann sich nicht frei bewegen
Was können Sie uns über den Dreh zum Vorleser erzählen?Es war toll mit der deutschen Crew zusammen zu arbeiten. Es gab zwar ein paar Produktions-Probleme, also die große, gesamte Produktion betreffend. Das Recasten von Schauspielern beispielsweise. Aber die kleine, unmittelbare Produktion hier in Berlin lief sehr reibungslos ab. Ich liebe es, wenn man an wirklichen Orten dreht. Das haben wir hier fast immer gemacht. Das einzige, was hier nachgebaut wurde, war das Innere von Hannas Wohnung und das Innere ihrer Zelle. Wir haben zum Beispiel in dem Stasigefängnis gedreht. Da wo Michael Berg ankommt usw. Es macht immer einen viel stärkeren Eindruck, an echten Orten zu drehen. Es ist einfach authentischer.
Haben Sie ein wenig deutsch gelernt?Nein, ich werde Ihnen keinen deutschen Satz aufsagen. Auf keinen Fall. Oh, ich habe mir einen sehr derben deutschen Satz gemerkt. Aber den werde ich hier nicht sagen.
Wie konnten Sie sich mit ihrem Charakter identifizieren, der Hanna Schmitz einerseits liebt, während sie andererseits aber all die Dinge getan hat, die er verabscheut?In allen mehr oder weniger dramatischen Beziehungen, die man im Leben hat, ist immer dieses Gegenspiel: Lass mich in Ruhe - Ich liebe dich noch. Wenn also eine Beziehung scheinbar zu Ende geht, merkt man doch, das dieser Mensch für immer mit diesem Teil des eigenen Lebens verbunden bleibt. Es ist also nicht so schwierig, sich damit zu identifizieren. Dieser spezielle Mann kann Hanna, trotz seines Schocks, sie in der Verhandlung zu sehen, nicht gehen lassen. Und genau das ist sein Trauma.
Und wie war das jetzt mit dem derben Satz?Wer ficken will, muss freundlich sein! (lautes Gelächter aus der Runde. Man sammelte sich mühsam)
War Ihnen das Buch ("Der Vorleser") von Bernhard Schlink vor dem Dreh bekannt? Und haben Sie deutsche Autoren, die sie mögen?Ja, das Buch kannte ich. Als Student habe ich Stücke von Berthold Brecht gelesen. Wen ich noch mag, ist Büchner.
Ist es nicht schwierig, noch passende neue Rollen zu finden, wenn man wie Sie alles schon einmal gespielt hat?Ich versuche immer, etwas Neues zu finden und ich scheue mich nicht, eine gleiche Rolle noch einmal zu spielen, wenn das Material gut ist. Aber es ist oft schwer, wirklich ganz neuen Stoff zu finden. Irgendeine Szene erinnert einen immer an etwas und war schon einmal da.
Sie waren in diesem Jahr für den Golden Globe nominiert. Bedeuten Ihnen diese Art Auszeichnungen etwas?Ja, ich war für den Film "The Duchess" nominiert. Für einen Schauspieler ist jede Art der Anerkennung, genau wie Applaus, irgendwie notwendig. Es gehört zu seiner DNA. Es ist toll, für einen Award nominiert zu sein, und noch besser, ihn dann auch zu gewinnen. Aber diese Galaabende gehen nicht in die Tiefe. Verschwindest du dort, ist der Abend vorbei. Es bleibt nichts. Kein Wunder, dass sich nie jemand erinnert, wer wann für was ausgezeichnet wurde. Und dann gibt es ganz viele tolle Schauspieler, die nie einen Preis bekommen haben. Also. Es ist nett. Es ist wie Applaus, und das braucht jeder Schauspieler. Aber es ist nicht die Welt. Im Theater ist der Applaus da, und nach einer Minute wieder vorbei. Aber in diesem Moment strömt es durch deinen Körper wie ein Rausch. Aber du kannst es nicht wirklich halten.
Aber ist nicht genau das der Grund, immer wieder im Theater zu spielen, weil man diesen Rausch des Applauses braucht?Ich gehe nicht immer wieder ans Theater, um den Applaus zu haben. Ich gehe, um den unmittelbaren Kontakt zum Publikum zu haben. Man erzählt dort dem Publikum unmittelbar eine Geschichte. In Echtzeit. Da ist Adrenalin drin. Filme machen ist keine natürliche Arena für Schauspieler. Man macht alles in kleinen Stücken. Man sieht nie das Ganze und ist total auf den Regisseur angewiesen, dass der das ordentlich zu einem Ganzen zusammenfügt. Im Theater sieht man mich in diesem Moment, wie ich bin, wie ich spiele. Hört meine Stimme. Das ist beängstigend und berauschend gleichzeitig. Wenn ich lange kein Theater gespielt habe, frustriert mich das.
Woody Allen hat einmal erzählt, dass er nach einer Filmpremiere begeistert nach Hause fuhr. Er fühlte sich großartig, als seien alle Mädchen der Stadt hinter ihm her. Später saß er Zuhause und hat den Pizzaservice gerufen. Wie ist das bei Ihnen nach einer gefeierten Premiere?Das ist es genau. Du machst eine gute Vorstellung, ich als "Odysseus" zum Beispiel. Der letzte Vorhang fällt. Du wirst nach Hause gebracht. Dann sitzt du da - und kochst dir ein Ei. Tja.
Haben Sie Rituale, sich auf einen Auftritt oder eine Rolle vorzubereiten?Ich bin da wohl eine Art Kontrollfreak. Ich muss immer alles sehr ordentlich haben. Alles sehr klar. Dann ist auch mein Kopf klar. Mein Tisch in der Theatergarderobe muss genau so und so ausshene und auf keinen Fall anders. Das bringt mich sonst durcheinander. Naja, und so Kleinigkeiten. Bevor ich auf die Bühne muss, geh ich immer aufs Klo. Und kontrolliere jedesmal, ob ich auch den Reißverschluss wieder hochgezogen habe. Ich trainiere meine Stimme, indem ich summe. Eine Form des Rituals ist auch, mich vor einem Auftritt bitte allein zu lassen.
Lesen Sie gerne jemandem vor?Nein. Ich lese gerne laut. Manchmal mit Freunden. Ich teile gerne mit, wenn mir ein Gedicht oder eine Geschichte gefällt. Das sind ganz spontane Momente. Ich muss auch von Zeit zu Zeit beruflich laut lesen. Ich habe bereits Hörbücher besoprochen. Aber das mmache ich nicht so gerne, außer das Thema oder der Dichter interessiert mich wirklich. Ich höre gerne Stimmen. Deshalb bin ich überhaupt Schauspieler geworden. Als ich jung war, hat meine Mutter sich Aufnahmen von Laurence Olivier angehört, wie er Hamlet zitiert. Oder Henry V. Und da war eine Intensität in der Stimme, die hat mich geprägt. Da war ich acht oder neun Jahre alt. Später, als Teenager, als ich im Theater die Sprache der Schauspieler hörte, hat es mich umgehauen. Ich mag es, wenn Stimmen ausdrucksstark ist.
Einige Leute vergleichen Sie bereits mit Laurencce Olivier. Wussten Sie das?Nein, das wusste ich nicht. Und dieser Vergleich schüchtert mich sehr ein.
Quelle:
www.zoomer.de