"Niemand ist nur böse oder nur gut"
Aktuell ist Ralph Fiennes (46) gerade als Gutmensch in "Der Vorleser" zu sehen. In "Die Herzogin" darf er als widerlicher Ehemann wieder seine Schurkenseite zeigen. "Schindlers Liste" machte ihn berühmt, durch "Der englische Patient" wurde er zum Weltstar. Dabei versteht es Fiennes immer wieder, alle Facetten seiner Schauspielkunst auszuspielen. Markus Tschiedert traf den britischen Charakterschauspieler zum Interview.Ticket:
Wie gelingt es Ihnen immer wieder, sowohl als netter Mensch wie in "Der Vorleser" als auch als Schuft wie in "Die Herzogin" zu überzeugen?Ralph Fiennes: Sicher liest man ein Drehbuch und kann schnell den Bösewicht ausmachen, doch im Fall von "Die Herzogin" wollte ich es mir nicht so einfach machen. Ich sehe diesen Herzog von Devonshire als sehr komplexe Figur. Ich fragte mich, warum verhält sich dieser Mann so gemein, und ist da nicht auch etwas sehr Menschliches in ihm? Er ist nicht einfach nur schlecht, sondern er ist in erster Linie unsensibel, was ihn für andere so gemein erscheinen lässt.
Ticket:
Dennoch vergewaltigt er seine Frau. Ist es Ihnen schwer gefallen, diese Szene mit Keira Knightley drehen zu müssen?Fiennes: Im Film steht das wie der Höhepunkt seiner Abscheulichkeit, ich selbst empfand diese Szene für unnötig und sprach in dieser Angelegenheit auch mit der Autorin des auf unserem Film basierenden Romans "Die Herzogin von Devonshire". Sie bestätigte mir, dass der wahre Herzog von Devonshire zu einer solchen Tat nie fähig gewesen wäre. Man kann ihn ebenso wenig als Fiesling bezeichnen, doch um gewisse Reaktionen beim Publikum auszulösen, griff man für den Film auf diese Vergewaltigungsszene.
Ticket:
Worüber Sie nicht glücklich sind?Fiennes: Persönlich hätte ich mir eine andere Lösung gewünscht. Der Moment, wenn sie ablehnt, dass er sie überhaupt berühren darf, hätte vielleicht gereicht, um zu zeigen, wie sehr er sich in seinem männlichen Stolz verletzt fühlt. So denke ich, dennoch fand ich die Szene jetzt auch nicht so schlimm, dass ich mich geweigert hätte, sie zu drehen.
Ticket:
Diskutieren Sie oft, was Ihnen am Drehbuch nicht gefällt?Fiennes: Ja, wir haben darüber sogar sehr ausführlich diskutiert, was aber nicht dazu führte, dass es geändert wurde. Keira und ich gingen der Frage nach, wie es überhaupt dazu kommt, dass er sie vergewaltigt. Anfangs versucht er ja noch, sie zu beruhigen, aber sie stößt ihn von sich, er fühlt sich in seiner Autorität eingeschränkt, und so entwickelt sich diese Auseinandersetzung zu einer Vergewaltigung.
Ticket:
Kommt es trotzdem schon mal vor, dass Sie Ihr Handeln vor der Kamera bereuen, wenn Sie das Ergebnis auf der Leinwand sehen?Fiennes: Kommt schon mal vor, obwohl ich sagen muss, dass man seine Szenen mit guten Gewissen dreht. Wenn es hin und wieder trotzdem nicht funktioniert, wie man es dachte, liegt das nun mal in der Natur des Filmemachens. Ich habe Filme gedreht, die ich heute bereue, aber als ich sie drehte, stand ich zu ihnen, wollte sie machen, weil ich dachte, etwas Gutes kommt dabei heraus. Letztendlich stehe ich zu meinen Entscheidungen.
Ticket:
Im Sommer erlebt man Sie erneut als bösen Lord Valdemort im neuen Harry-Potter-Film. Wohl Ihre erfolgreichste Rolle überhaupt...Fiennes: ... und das mit einer grauenhaften Maske, die mir in stundenlanger Arbeit aufgesetzt wird. Valdemort ist eine sehr scharf umrissene Figur, aber für mich als Schauspieler ist es keine essenziell komplizierte Rolle. In diesem Fall spiele ich wirklich jemanden, der pure Bösartigkeit besitzt. Im wirklichen Leben ist natürlich niemand nur böse oder nur gut.
Quelle:
www.badische-zeitung.de